Dauerbrenner: Mängelrechte vor Abnahme
Urteile des BGH vom 19.01.2017, VII ZR 235/15 und VII ZR 193/15
Auch wenn die Thematik nun ein paar Jahre zurückliegt und damit eigentlich geklärt seien sollte, wird sich vor Gericht aufgrund der bahnbrechenden Urteile des BGH im Jahr 2017 immer wieder gestritten, wenn es um Mängelrecht vor Abnahme geht.
Worum geht es:
Im Werkvertragsrecht stellt die Abnahme den zentralen Dreh- und Angelpunkt des Bauvorhabens dar. Mit der Abnahme treten eine Beweislastumkehr für Mängel, die Verjährung von Mängelansprüchen, die Fälligkeit des Werklohns und eben auch die (verschuldensunabhängigen) Mängelansprüche nach §§ 634 ff. BGB ein.
Weniger problematisch ist dies bisher für VOB/B Verträge. Hier gibt die VOB/B mit § 4 Abs. 7 VOB/B ein Werkzeug an die Hand, wonach der Auftragnehmer Leistungen, die er schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkennt, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat und den Schaden hieraus zu ersetzen hat.
Für den BGB Vertrag war jedoch seit ehe und je umstritten, ob die Mängelrechte wie Minderung, Schadensersatz, etc. auch schon vor der Abnahme geltend gemacht werden können.
Im Jahr 2017 hat der BGH sodann seine beiden Grundsatzentscheidungen gefällt, wonach Mängelrechte eben grundsätzlich nur nach Abnahme geltend gemacht werden können. Der BGH spricht davon, dass bis zur Abnahme ein Erfüllungsverhältnis besteht und nach der Abnahme sich die Gewährleistungsphase anschließt. Vor der Abnahme verweist der BGH auf verschuldensabhängige allgemeine Schadensersatzansprüche.
Damit sollte die Rechtslage doch eigentlich klar sein? Eben nicht. Der BGH hat in den beiden genannten Entscheidungen nämlich direkt Ausnahmen von dieser Regel festgelegt:
BGH, VII ZR 235/15
Der Besteller kann berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist.
Das bedeutet, wenn es den Parteien nur noch darum geht, dass hier der Werklohn gegen Mängelansprüche „hin und her gerechnet“ wird, ist ein sogenanntes Abrechnungsverhältnis enstanden, weil es dem Bauherren gar nicht mehr auf die Erfüllung der Werkleistung durch den Unternehmer ankommt.
Das ist jedenfalls der Fall, wenn der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme anbietet und der Besteller nur noch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes geltend macht oder die Minderung erklärt.
Danach ensteht ein solches Abrechnungsverhältnis also wenn der Unternehmer die Abnahme begehrt und der Besteller nur noch Schadensersatz oder Minderung geltend macht.
BGH, VII ZR 193/15:
Der Besteller kann berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-) Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist.
Hier also wie oben.
Dafür reicht es aber noch nicht aus, wenn ein Kostenvorschuss verlangt wird. In diesem Fall entsteht ein Abrechnungsverhältnis erst, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen.
Voraussetzung ist also, dass der Besteller auch noch zum Ausdruck bringt, nach Ablauf der Frist nicht mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen.
Kurz zusammengefasst sagt der BGH also grob:
Grundsätzlich gibt es keine Mängelrechte vor Abnahme. Ausnahmsweise jedoch dann, wenn ein Abrechnungsverhältnis entstanden ist. Dies gilt jedoch nicht wenn nur Kostenvorschuss gefordert wird. Ausnahmsweise aber dann doch beim Kostenvorschuss, wenn dem Bauunternehmer mitgeteilt worden ist, dass mit ihm nicht mehr zusammengearbeitet werden soll.
Verstehen Sie jetzt warum es hier immer wieder zu Streitigkeiten kommt?
Fazit:
Entscheidend ist, dass wenn Mängel vor der Abnahme auftreten, dass dem Unternehmer eine ausreichende Frist zur Mangelbeseitigung gesetzt wird. Sollte diese Frist ablaufen, sollte penibelst darauf geachtet werden, dass dem Unternehmer mitgeteilt wird, dass an einer weiteren Ausführung der Leistung durch den Unternehmer kein Interesse mehr besteht.
Andernfalls droht im Prozess das böse erwachen, wenn tatsächlich ein Mangelbeseitigungskostenvorschuss eingeklagt wird und das Gericht mitteilt, dass Gewährleistungsrechte gar nicht bestehen mangels Abnahme.